Überschrift: Texte
Gedanken zu den Bildern von Celso Martínez Naves
Eröffnungsrede zur Ausstellung im Denzlinger Kulturkreis, Juli 2011

Wie sieht die Welt aus - zwischen fünf und acht Uhr morgens? Wer das Pech hat um diese Zeit unterwegs zu sein, wird kaum einen Sensor haben, für das, was Celso Martínez Naves in seinen Bildern so unnachahmlich präzise einfängt: diese besondere Mischung aus Stille und Erwartung, die dem werdenden Tag innewohnt, und er wird kaum die Muße haben sich einer Ansicht des aufdämmernden Tageslicht und der allmählich verlöschenden Kunstlichter hinzugeben, welche noch eben milchige Schlieren und grelle Schneisen in das Nachtschwarz frästen. Ein Augenblick des Anbruchs und der geheimnisvollen Leere, eingefroren, wie in Kunstharz eingegossen in der Erinnerung.

Ja, sie haben einen hohen Erinnerungswert, diese Bilder, auch wenn es gerade keine besonderen Orte sind, auf welche der Maler seinen Fokus richtet. Orte an denen man für gewöhnlich nicht lang verweilt, angesichts derer sich jedes Schwelgen verbietet: leere Straßen und Kreuzungen im Neonlicht, Hafen- und Flughafengelände, verlassene Tankstellen - Orte des Übergangs.

Mit Ausnahme Venedigs natürlich, der ewig Schönen, aber auch dorthin kamen Menschen, um zu sterben. Womit ich nicht sagen will, dass der Tod in diesen Bildern wohnt, viel mehr das Gegenteil: Eine Erwartungsspannung, als stünden wir vor einer Filmkulisse, die auf die Aktion wartet: Das Nahen eines Autos mit quietschenden Reifen, den leisen Auftritt des Akteurs von der Seite, die Kamera dicht auf seinen Fersen.

Der Beginn einer Geschichte, deren Ende wir nicht kennen, auch wenn uns das Setting seltsam bekannt vorkommt, aber nur das erste Still, denn eigentlich narrativ ist keines dieser Bilder. Ein Jedes präsentiert uns den „nunc stans", den stehenden, festgeschraubten Augenblick. An lange Einstellungen aus Filmen von Wim Wenders oder Aki Kaurismäki fühlt sich der Betrachter erinnert und auch ein Bildtitel wie „Eyes wide shut" weckt cineastische Assoziationen - ans letzte Werk Stanley Kubricks. Häufiger als Filmstills sind es aber die eigene Fotovorlagen. Der Maler Martínez hat sich in einem Genre vervollkommnet, das nicht gerade zu den Lieblingen der aktuellen Kunstszene gehört: Landschaften und Veduten.

Beinahe provokativ, das Motiv der Mündung des Canal Grande mit Longhenas Kuppelkirche Santa Maria della Salute noch einmal ins Bild zu setzten. So häufig wie gerade dieses Motiv von der Brücke der Accademia fotografiert und gemalt wurde. Als hätte nicht ein Turner oder Monet, von Canaletto ganz zu schweigen, diese Ansicht leidlich ausgereizt, erstere auch mit spezifischem Interesse am wechselnden Licht und der feucht-nebligen Atmosphäre. Als wollte er seine rein malerische Behandlung des Sujets jedem Klischee entgegenstellen. Zu schön um wahr zu sein, beinahe Vision, aber doch primär Licht und Farbe - Pinselwerk auf grober Leinwand. Was auf alle hier gezeigten Bilder zutrifft: Auf Distanz erst wächst der Eindruck fotografischer Genauigkeit. Dicht vor der Leinwand zeigt sich Martinez' Neigung zur Reduktion, aber auch sein coloristisches Raffinement. Bei Peter Dreher hat er das Sehen gelernt, sagt der Künstler, und gewiss auch jenen kontemplativen Blick, der die Zeit tatsächlich still stehen lässt. Wer aber würde seine romantischen Wurzeln verkennen. Romantisieren - nach Novalis das Verfahren, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein zu geben. Eine Kunst der Irritation also, die der nüchterne Romantiker Celso Martínez Naves meisterhaft beherrscht. Mit den Malern der Romantik teil er die Vorliebe für weite Räume, verblauende Himmel, Wolkenzüge und - natürlich – die Nacht.

Fernab jeder Metaphysik sind es nicht die leuchtenden Gestirne und der Mond, die ihn bannen, sondern der auf dem regennassen Beton reflektierende Schein der Neonlichter. Es braucht nicht viel Kunstverstand, zu erkennen, dass die Atmosphäre milchigen Zwielichts ihm am meisten liegt - etwa auf dem großen Bild des Moskauer Flughafens, das ich für eines der besten in dieser Ausstellung halte. Und immer wieder fallt ein Name, den der Maler allerdings noch nicht kannte, als er begann, seine stillen, szenischen Bilder zu malen: Edward Hopper.

Gewiss: ein ähnlich festgefrorener Augenblick, doch keine Szene aus einer so dramatischen wie alltäglichen amerikanischen Short Story, nicht der Schlüssellochblick eines Jan Vermeer, sondern die wechselnden Bilder eines Passanten, die bei langsamen Auto- oder Schifffahrten, auch beim Landeanflug auf uns zu und an uns vorbei zu gleiten scheinen, wobei er den Betrachter quasi mit sich allein lässt. Bis auf wenige Ausnahmen sind Martínez Naves' Landschaften menschenleer, Orte der Kontemplation, nicht der Aktion. Einsamkeit beherrscht die Szene, die zu bekannt und zugleich zu fremd ist, um sie mit unseren eigenen Geschichten zu füllen. Sie sehen Arbeiten aus den letzten zwei Jahrzehnten: Im ersten Raum ruhige Landschaften - auch aus der spanischen Heimat des Künstlers, darunter auch zwei pastose Bilder, die den Eindruck des thailändischen Dschungels wieder geben - grünes Gespinst in Nahsicht, teils mit Materialcollagen, auch eine, wie ich finde, sehr gelungene brauntonige Teichansicht mit Trauerweide. Im mittlere um dann ein Werkquerschnitt und schließlich die neuesten Bilder, Häfen, Flughäfen zumeist. So wie diese Gemälde in der äußeren Distanz an Intensität gewinnen, so ist ihnen die innere Distanz, ja eine kalkulierte Kühle bereits „eingemalt". Das Motiv, und darin unterscheidet sich der moderne Landschafter doch maßgeblich von den Romantikern des 19. Jahrhunderts, ist ihm kein Vehikel des Erhabenen mehr, sondern steht ganz für sich. Verweisungslose, ja mitunter auch verwaiste Orte werden uns vorgeführt. Traumverloren und doch von kühler Realistik, Orte zwischen Tag und Nacht, Wachen und Dämmern, Präzision und Andeutung. Orte, die einen Zwischenzustand bezeichnen, den das Wort poetisch durchaus treffend beschreibt.

Höchst diesseitige Orte, fest verankert zumeist in der realen Arbeitswelt, aber doch vom Reiz einer Ausschließlichkeit, die nach den exakten Konditionen dieser Arbeit gerade nicht fragen lässt. Orte von stiller Ästhetik.

Im Zwielicht - „in between":

"A media luz

An der Grenze zwischen
Wirklichkeit - Erscheinung
hell - dunkel
Tag - Nacht
Nacht - Morgen
real - abstrakt
klassisch - modern
klar - atmosphärisch
deutlich - vage
Zwischenraum - Zwischenzeit

Stehen ... Weiter gehen" (Celso Martínez Naves)

... wohin?

Stefan Tolksdorf