Überschrift: Texte
Ariane Faller
»LUZ«. Malerei. Einführungsrede im Oktober 2023 zur Ausstellung von Celso Martínez Naves im Stadtmuseum Hüfingen

Liebe Gäste ...

Eine große, licht und minimalistisch möblierte Wohnung, fast loftartig, im Zentrum eine Staffelei und ein Stuhl, wenige Werkzeuge ordentlich aufgereiht, Pinsel und Farben verstaut und doch stets auf ihren Einsatz wartend. Zimmer voller Bilder in maßgeschneiderten Ordnungssystemen. Hier gibt es Raum, Freiraum, Freiheit für Gedanken, großzügige Projektionsfläche, sich in Bilder hineinzudenken, Gesehenes zu reflektieren und in Malerei zu übersetzen. Ein guter Ort für Malerei.

Celso Martínez Naves ist ein Träumer. Und nein, das ist nicht weltfremd, sondern eines der größten Komplimente, das ich vergebe. In den akademischen Strukturen, in denen ich künstlerisch „aufgewachsen“ bin, wurde lange Zeit suggeriert, dass Träumen etwas sei, das in der einzig wahren, objektiven und über alle menschlichen Gefühlregungen erhabenen Kunst nicht angebracht wäre. Einige Jahre nach der Akademie, als ich künstlerisch „aufgewacht“ bin, dämmerte mir schon, dass das nicht stimmen kann. Heute weiß ich, oder meine zumindest zu wissen, dass Träumende ganz besonders dazu befähigt sind, Künstler zu sein.

Träumen bedeutet nicht zwangsläufig, die Welt, in der wir leben, auszublenden, sondern sie zunächst ganz genau wahrzunehmen und sie dann zu erweitern. Um Ebenen des Imaginierens, des Visualisierens, ja, auch des Phantasierens, aber genauso des Erinnerns und des Reflektierens. Träume sind eine Parallelwelt, die von Zeit zu Zeit die unsere streift und sich dann wieder von ihr trennt. Diesen Bereich, diese Zwischenwelt, die Schnittmenge temporärer Berührung zweiter Welten und Realitäten thematisiert Celso Martínez Naves in seiner künstlerischen Auseinandersetzung.

„Das Kunstwerk ist eine imaginäre Insel, die rings von Wirklichkeit umbrandet ist“, schrieb der spanische Philosoph José Ortega y Gasset. Ganz in diesem Sinne bringen uns die Bilder von Celso Martínez Naves an Orte, die wir zu kennen glauben. Wir schlendern im Nebel über die Prager Karlsbrücke, streifen durch die Straßen von Paris oder stolpern über das berüchtigte Freiburger Kopfsteinpflaster, bis wir ganz genau hinschauen und uns bewusst wird: wir schlendern im Nebelduktus aus Ölfarbe hinein in den Bildraum, streifen durch Perspektive und Komposition und stolpern über zarte, in präzisem, bildüberspannenden Rhythmus angelegte Farbsetzungen, kleinste Lichtreflexe auf vermeintlich nassen Pflastersteinen dechiffrierend. Malerei meint Celso Martínez Naves und Malerei zeigt er uns. Seine Bilder erinnern, wecken Assoziationen, Irritationen, aber weder bilden sie ab, noch nach, sie umschreiben nicht einmal. Man könnte sagen, sie übersetzen, transkribieren, vermitteln vielleicht - aber sie werden immer etwas Neues, Anderes, Unabhängiges. Pinselspuren finden zur Gegenständlichkeit zusammen, trennen sich bei genauem Hinschauen wieder und werden erneut zu Farbsubstanz.

Zeit, die uns in unserem Leben normalerweise beherrscht, uns antreibt, bevormundet und parasitär besetzt spielt in diesen Bildern nicht die geringste Rolle. Die Zeit hält nicht an, sie ist einfach nicht relevant. Die Straßen, die wir sehen, sind die Straßen der Kindheit, der Jugend, des Alters, genauso wie es Straßen sind, die gar nicht existieren. Oder überall, zu jeder Zeit.
Beim Spaziergang durch Celso Martínez Naves‘ Malerei sehe ich mich wieder als knapp Achtzehnjährige nachts auf dem hohen Randstein an einer mehrspurigen Straße vor einer Diskothek gegenüber des Freiburger Bahnhofs sitzen. Heute ein irrsinniges Unterfangen, damals Gedankenlosigkeit, Furchtlosigkeit, Freiheit. Möglich. Nicht die optische Ähnlichkeit der Bildmotive löst diese Erinnerung aus. Es ist die Stimmung, die Atmosphäre der nächtlichen Szenerie, der Stadt, der Straßen, die - nicht negativ zu deutende - Einsamkeit inmitten eines eigentlich sehr belebten Umfelds. Die empfundene Menschenleere, die aus der Fähigkeit (manchmal eine Gnade) resultiert, Menschen ausblenden zu können, um sich auf Orte einzulassen. Wer man ist, ist nicht wenig davon beeinflusst, wo man ist. Der sensibel beobachteten und empfundenen Stimmung, der charakteristischen Atmosphäre, manchmal vermeintlich nur eines Augenblicks, spürt Celso Martínez Naves durch Kontraste, Strukturen, Komposition, Farbigkeit und Bewegung im jeweiligen Format seines Bildraumes nach. Manchmal konstruiert er architektengleich Elemente hinzu oder lässt andere weg. „Ich will nur Erinnerung sammeln“, sagt er. Er sucht eine malerische Erinnerung an einen Eindruck, schafft aber bewusst eine Realität, die anders ist, als der beobachtete Moment. „Ich male ein Bild, so wie ich es haben will. Es ist meine Art, Orte zu sehen." Essentiell ist für ihn das Licht,- nicht zu leugnen, allein durch den Ausstellungstitel „Luz“: Licht. Oft prägen Quellen künstlichen Lichts, ausgehend von Straßenlampen, Häusern oder Fabrikanlagen seine Bilder, doch auch natürliches Licht, insbesondere das Zwielicht von Morgen- oder Abenddämmerung spielt eine große Rolle. Helligkeitsgrad und Tonwert der Lichtsituation beeinflussen das malerische Gefüge signifikant. „Ich verteile Lichter“, sagt Martínez Naves bescheiden.
Die Dunkelheit in seinen Bildern bedeutet nicht nur visuell Schatten, sie lässt durchaus auch ab und an einen Anflug von Düsternis, Melancholie, von Nachdenklichkeit, zu und bietet dem Licht die Stirn. Niemals schwarz sind sie, diese Dunkelheiten. Stets aus abgedunkelten Tönen, sich sorgsam der dunkelsten aller Nuancen lediglich annähernd. Subtilität ist Celso Martínez Naves wichtig, Genialismus lehnt er strikt ab, bremst sich selbst, wenn er zu präzise oder handwerklich zu perfekt malt, kämpft, um nicht zu viel an einem Bild zu arbeiten, mahnt sich zu Lockerheit und Direktheit. Glaubwürdig muss Malerei für ihn sein, geprägt von Ruhe, Leichtigkeit und Einfachheit. „Ich will offen bleiben“, sagt er.
Bewusst ist daher nicht alles ausgeklügelt, hin und wieder verwundert ihn die Wahl seiner Bildinhalte selbst. „Ich male manchmal so komische Sachen, die eigentlich nicht interessant sind“, konstatiert der Künstler augenzwinkernd, „aber wenn sie gemalt sind, sind sie gut. Aus dem Banalen wird durch die Malerei Außergewöhnliches. Unbewusstes wird sichtbar."

© Ariane Faller Budasz, Künstlerin, Kuratorin im Stadtmuseum Hüfingen