Überschrift: Texte
Christiane Grathwohl M.A.
F I N A L E . Rede zur Ausstellung im Kunstverein March 18. November 2023

Manche Themen verlieren für einen Künstler/ eine Künstlerin nie ihre Faszination. So geht es Celso Martínez Naves mit der Nacht. Seit den 1980er Jahren malt er Nachtbilder oder wie der kunstgeschichtliche Fachbegriff lautet „Nachtstücke“. Ich sage das nur, weil ich das Wort im Zusammenhang mit einer Gruppe der jüngsten, in diesem Jahr entstandenen Nachtbildern als zutreffend empfinde. Es sind die Bilder, in denen eine einzelne Figur, oft eine Frauenfigur, erscheint. In dem Wort Nachtstück schwingt die Vorstellung einer Inszenierung mit. Ein Stück wird aufgeführt und dieser Eindruck einer in Szene gesetzten Situation hat der Betrachter/ die Betrachterin bei diesen im Jahr 2023 entstandenen Bildern. Tatsächlich lässt der Maler sich hier von Szenen aus einem Film inspirieren. Als Anregung für seine Bildideen nimmt er nicht nur die eigenen Fotografien, auch in Zeitungen, Bildmedien Gesammeltes oder wie hier Film-Stills und erweitert so sein Spektrum.

In einem Bild sieht man eine einzelne Frau im roten Kleid, umgeben von Bäumen und Sträuchern eines Parks, alles von hinten in unwirklichen grün-gelblichen Tönen erleuchtet durch die Scheinwerfer eines Autos. In einem anderen Bild steht die Gestalt, wie zögernd, ob sie überhaupt weitergehen soll, in der Mitte einer durch eine Mauer seitlich begrenzten Straße und in einem weiteren Bild sieht man eine einsame Gestalt „Ada“, so der Bildtitel, die durch eine menschenleere, von Straßenlampen erleuchtete Gasse in die Dunkelheit davonläuft.

Jede dieser nächtlichen Szenen ist voller Subbotschaften und beunruhigender Details. Handelt es sich in der einen Situation um eine Bedrohung, eine Verfolgung? In der anderen um einen Abschied, eine Trennung? Auf diese Fragen gibt es keine Antwort, alles kann so oder auch anders sein.

Das Interesse des Künstlers liegt nicht im Inhalt, sondern in der malerischen Darstellung einer verdichteten Situation. Indem er eine Figur isoliert in ein räumlich als Park oder als Straße definiertes Umfeld stellt, steigert er die atmosphärische Dichte. Es entsteht eine Bilddramatik, die ohne die Figur nicht gegeben wäre. Erlebnisse in der Nacht, menschliche Zustände, verbindet er mit Fragen der Malerei: Wie malt man das Zwielicht, die Einsamkeit, wie stellt man das Rauschen der Blätter im Nachtwind dar, die Angst und die Verlorenheit. All diese Themen sind Auslöser für die Malerei.

Neben den Nachtstücken mit Figur gibt es auch die ohne. Es sind die großartigen Straßenszenen, wie die nächtliche Elsässer Straße, die Tankstellen, Industrie- oder Fabrikanlagen. Alle atmosphärisch dicht, geprägt vom Hell-Dunkel, von der Leere des Raums. Bilder wie die Tankstellenserie, die Industriehallen, die Flugplatzgelände oder die Vorstadtfabriken zeigen Situationen in denen die Gebäude sich selbst überlassen sind. Ihrer Funktion enthoben, glänzen die technischen Anlagen hell erleuchtet im Wartezustand in der Dunkelheit.

In diesen Bildern kann der Betrachter den Maler durch die Nacht begleiten, der die Ansichten von Architekturen, Straßen und Parks sammelt, die diffusen Lichtverhältnisse, die veränderten Räume und ihre Schönheiten auf seine Leinwand überträgt. Es sind reale Orte, einige meint man zu kennen. Auch wenn man noch nie in Bezana war oder in Villafranca del Ebro, so kennt man das Prinzip dieser Gebäude gut. Sie sind anonym, sie verkörpern Typen. Tankstellen sind rein funktionale Bauwerke ohne Anspruch auf eine besondere Ästhetik oder Individualität. In der Malerei von Celso Martínez Naves passiert etwas mit ihnen. Sie werden verwandelt, nicht wirklich zu Orten der Sehnsucht, aber doch in ihrer strahlenden Farbigkeit in dunkler Nacht, werden sie zu begehrenswerten Schönheiten, zu Anlaufstellen in der Dunkelheit.

Der Nacht gegenüber steht der Tag und in dieser Ausstellung sind die Tagbilder zugleich Waldbilder. Kein beliebiger Wald – es ist ein Porträt des Sternwalds, ein Wald, der sich direkt an die Häuser des Freiburger Stadtteils Wiehre anschließt. Der Sternwald in seiner schlichten, alltäglichen und doch eigenen Schönheit. Tannen und Laubbäume sind durchmischt, Äste und Blattformen durchdringen sich und helles Unterholz drängt hervor. Immer wieder ist Gras zwischen den Baum-Schösslingen zu sehen, kleine Lichtungen tauchen auf und ab und an findet sich ein Durchblick auf gegenüberliegende Höhenzüge.

An und für sich ist das Ganze unspektakulär und doch so wunderbar leuchtend in den unterschiedlichsten Grünabstufungen, mit Blau und Gelb durchsetzt und rhythmisiert durch brauntonige bis silbrig glänzende Stämme. Die Luft zwischen den Blättern und Bäumen, die Bewegung und der Stillstand im Wald sind jeden Tag anders. Das lockere Hintupfen der Farben auf der Leinwand schafft ein Flirren, eine Entspannung und zugleich Freiheit. Der Sternwald ist die Lösung von der Nacht, ihr Gegenbild und die andere Seite des Spektrums in der Malerei von Celso Martínez Naves.

© Christiane Grathwohl M.A., November 2023